Der sogenannte Volkslauf-Sport (Marathon-, Halbmarathon-, Straßenlauf-Veranstaltungen) ist bekanntermaßen erst in den letzten 20 – 30 Jahren so beliebt geworden. Davor gab es in Österreich den breitenwirksamen Laufsport in der Bevölkerung praktisch überhaupt nicht. Die vergleichbar wenigen Straßenläufer wurden damals als verrückt bezeichnet. Wenn man in den 60er-Jahren des 20.Jahrhunderts in Wien vom Laufsport sprach, hatte man die erfolgreichen Kurz- und Mitteldistanz-Läufer auf der Bahn im Kopf. Und in der Tat war es so, dass speziell in Wien das Leistungsniveau auf der Bahn damals viel höher war, als es heute der Fall ist. In diesem Zusammenhang hat sich in Österreich ein deutlicher Trend abgezeichnet, der allmählich in den letzten 20 Jahren dem Volkslauf zu seiner heutigen Beliebtheit und Blüte verholfen hat. Heute kann man sich das eigentlich gar nicht mehr vorstellen, dass die Wiener Bevölkerung sich vor nicht all zu langer Zeit über laufende Menschen auf der Straße lustig gemacht haben. Mag. Roland Herzog, Obmann des LV Marswiese und Veranstalter des Höhenstraßenlaufs und Kahlenberglaufs, erzählt in diesem Bericht über die läuferische Vergangenheit in Wien.
Jahrzehntelange Tradition des Wiener Laufsports – der Höhenstraßenlauf
Der Höhenstraßenlauf blickt auf eine sehr lange traditionsreiche Geschichte zurück, jährt er sich im Jahr 2018 zum insgesamt 70. Mal. Seinen langen Fortbestand verdankt dieser internationale Straßenlauf über den Dächern von Wien nicht zuletzt seinem langjährigen Veranstalter Roland Herzog, der auch selbst Mittelstrecken-Läufer war. Traditionsgemäß findet der Höhenstraßenlauf jeden ersten Samstag im Oktober statt. Das Ambiente mit Panoramablick über Wien, sowie das Gefälle der Strecke (Leopoldsberg bis Marswiese), machen den Höhenstraßenlauf zu etwas Besonderem. Es gibt viele LäuferInnen, die bereits seit vielen Jahren am Höhenstraßenlauf immer wieder gerne teilnehmen. Aber auch der junge Nachwuchs erfreut sich zunehmend gerne an diesem läuferischen Ereignis. Derzeit nehmen durchschnittlich rund 500 LäuferInnen am Höhenstraßenlauf teil. Im Jahr 2014 ist erstmalig auch die Anmeldung zum Höhenstraßenlauf „light“ möglich, bei welchem anstatt den 14,3 Kilometern „nur“ 7 Kilometer bis ins Ziel bewältigt werden müssen. Unter den erfahrenen Teilnehmern gilt dieser Straßenlauf als rekordverdächtig für schnelle Zeiten. Grund dafür ist das bereits erwähnte Gefälle, welches sich über einen Großteil der Strecke ausdehnt. Dieses Wissen kann unerfahrenen LäuferInnen aber durchaus zum großen Verhängnis werden, wenn diese von Beginn an ein zu hohes Tempo riskieren.
- Infos zum 70. Internationalen Wiener Höhenstraßenlauf am 6.10.2018
- Infos zum 29. Kahlenberglauf am 14.10.2018
Herzog über die Entwicklung des Wiener Laufsports im 20. Jahrhundert
Der heutige Höhenstraßenlauf-Veranstalter Roland Herzog war in seiner Jugend bei einem Wiener Turnverein. Er war aber kein erfolgreicher Turner, denn sein Talent lag im Laufsport (Mitteldistanz, 800-1.500 Meter). Und so ergab es sich, dass er auf die Marswiese kam, zum damals erfolgreichsten österreichischen Trainer Rudi Klaban Senior. Speziell im Sportzentrum Marswiese war ein sehr starkes läuferisches Leistungsniveau vorhanden. Selbst als guter Läufer war es lange noch nicht selbstverständlich an österreichischen Meisterschaften teilzunehmen. Man musste sich damals noch vereinsintern für Meisterschaften qualifizieren. Heute ist das völlig anders, denn jetzt ist man auf der Suche nach guten Läufern, die zur Meisterschaft hinfahren können. Die Laufszene war damals zweigeteilt:
- Bahnleichtathletik, die sehr gut besetzt war und ein deutlich höheres Niveau hatte als heute
- Straßenlauf, bestehend aus einem „kleinen“ harten Kern von Läufern, die eigentlich als verrückt bezeichnet worden sind
Heute ist das anders, als vor rund 40 Jahren. Der Straßenlauf hat sich von einer kleinen Gruppe von „Verrückten“ hin zu einem großen Trend entwickelt der zu einem boomenden Volkssport herangewachsen ist. Der Straßenlauf ist jene Sportart, die mit wenig Geld immer, überall und sehr leicht zu betreiben ist. Selbst Manager haben die Möglichkeit ihre Laufschuhe im Gepäck zu haben und zwischendurch zum Ausgleich laufen zu gehen. Laufen kann unglaublich viel zur Volksgesundheit beitragen und das tut es auch. Deshalb steht Roland Herzog nach wie vor so hinter dieser fundamentalen Fortbewegungsart.
Im Laufe der letzten 40 Jahre hat sich herauskristallisiert, dass die glorreichen Zeiten der Bahnleichtathletik in Wien allmählich der Vergangenheit angehört haben. Im Vergleich zu den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist das Niveau auf der Bahn in Österreich deutlich zurückgegangen. Dafür hat sich der Volks- und Straßenlauf, wie bereits erwähnt, sehr deutlich etabliert. Diese Trend-Verschiebung hat man hier in Wien sehr stark gespürt.
Als Fachmann im Laufsport ist Roland Herzog der Meinung, dass für die meisten Marathon-Teilnehmer diese unglaublich lange Distanz von 42,195 Kilometer aus gesundheitlicher Sicht viel zu viel sind. Eine Vorbereitungszeit von 6 Monaten ist deutlich zu kurz, um den Körper auf diese Distanz vorzubereiten. Der Marathon sollte denjenigen vorbehalten sein, die dieser Herausforderung durch jahrelanges entsprechendes Training mit „relativer“ Lockerheit gewachsen sind. Beim Halb-Marathon hingegen ist ein breites Teilnehmerfeld von durchschnittlichen LäuferInnen durchaus ein gesunder und realistischer Umstand. Grundsätzlich kann sich jeder „gesunde“ Mensch innerhalb von 6 Monaten auf einen Halb-Marathon vorbereiten und diesen ohne körperlichen Schaden überstehen.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass es nichts mit „Sportlichkeit“ zu tun hat, wenn man eine Wette mit Freunden abschließt, dass man den nächsten Vienna City Marathon vom Stand weg unter 4 Stunden läuft. Ganz im Gegenteil, wäre dieses extreme Beispiel ein fataler Fehler und gleichzusetzen mit bewusster Körperverletzung am eigenem Leib.
So manche Veranstalter haben die glorreiche Idee, im Zuge der Veranstaltung an der Laufstrecke Alkohol auszuschenken. Der dafür berühmte Médoc-Marathon in Frankreich wird von manchen Abenteurern als erfrischendes Erlebnis im Laufsport angesehen. Ist es doch ein besonderes sportlich-kulturelles Erlebnis im Zuge eines Marathons Wein zu verkosten. Ob dies im gesundheitlichem und sportlichen Kontext vertretbar ist, ist jedoch berechtigterweise höchst umstritten.