Juli 2020 | Erfahrungsbericht von Markus Steinacher | Sporturlaub in Salzburg und Tirol
Inspiriert von den größten österreichischen Radsportlern der Vergangenheit, dessen Erfolgen und Schauplätzen großartiger Radsport-Geschichte, hat es mich schon vor vielen Jahren interessiert, wie es sich anfühlt, die berühmtesten heimischen Alpenstraßen bergauf mit dem Rennrad zu bezwingen. An erster Stelle steht hier für mich die Großglockner Hochalpenstraße, welche ich traditionsgemäß seit dem Jahr 2010 fast jedes Jahr mindestens 1 Mal bezwinge. Hier entfacht sich für mich ein großartiges Freiheitsgefühl und Abenteuer, welches mit jeder Kurbelumdrehung aufwärts ansteigt.
Auch heuer, Mitte Juli 2020, stand Österreich’s berühmteste Alpenstraße wieder am Sportprogramm, im Rahmen meiner gemeinsamen Ersatz-Sportwoche mit Emil Jaidhauser, in Salzburg und Tirol. Eigentlich wollten wir unseren Sommer-Sporturlaub in Kroatien verbringen, doch die Unsicherheiten der Corona-Umstände hielten uns in Österreich, was mir radsport-technisch eigentlich ganz gelegen kam. So buchten Emil und ich ein Zimmer mit Frühstück bei der Pension Lindenthaler in Zell am See, welche ein idealer Ausgangspunkt für unsere Radtouren war.
Rennradtouren in den Alpen sind nicht zu unterschätzen
Das Wetter war stets sehr wechselhaft, was unsere Zeitplanung etwas schwierig gestaltete. Wir mussten sehr spontan und flexibel sein, um ein möglichst günstiges Zeitfenster zu finden, um nicht in ein Unwetter zu geraten. Ein plötzlicher Wetter-Umschwung jenseits der 2.000 Meter kann sich in nur wenigen Minuten dramatisch auswirken. So erlebt habe ich dies im August 2017, als ich den Extremsportler Rainer Predl im Rahmen des Race Around Austria, Europa’s härtestem Nonstop Langstrecken-Radrennen, als Betreuer begleitete. Damals musste Rainer Predl nach 1.000 bereits zurück gelegten Radkilometern von Heiligenblut aus hinauf bis zum Hochtor, weiter bis Fuscher Törl und hinunter Richtung Zell am See. Genau zu jenem Zeitpunkt regnete es in Heiligenblut. Was unten „angenehmen“ Regen bedeutete, entpuppte sich jenseits des Hochtor als stürmischer, eiskalter Schneeregen [Video: https://youtu.be/Do0BNnU-EjQ?t=792 ab 13:12 min] bei etwa 3 Grad Celsius. Ein Umstand, der uns alle fast in die Knie gezwungen hatte. So eine lebensgefährliche Situation möchte ich kein zweites Mal erleben. Daher ist es wirklich sehr wichtig, sich den Zeitpunkt der Radtour auf die Großglockner Hochalpenstraße genau zu überlegen.
Radtour auf die Großglockner Hochalpenstraße
Nun, am Montag, den 13. Juli 2020, war es endlich soweit. Das Wetter und die Voraussicht waren perfekt um mit Emil gemeinsam die Großglockner Hochalpenstraße von Zell am See aus in Angriff zu nehmen. Beim traditionellen Frühstück in der Pension Lindenthaler legten wir uns mit Hilfe der Bergfex-Wetterprognose einen Plan zurecht, wie wir das Radabenteuer letztendlich angehen wollen. Emil wollte unbedingt auch die andere Seite der Hochalpenstraße Richtung Heiligenblut mit dem Rad kennen lernen. Ich kannte dies bereits und wusste prompt was sein Wunsch zu bedeuten hatte: eine zweifache Bergfahrt im Rahmen einer Radtour, wenn das Ziel wieder Zell am See sein soll. Und weil natürlich die Kaiser-Franz-Josefs-Höhe auch nicht fehlen durfte, musste auch diese Auffahrt auf 2.369 Meter Seehöhe einkalkuliert werden. Auf Basis dieser Zielsetzung holte ich mir beim Frühstück gleich noch einmal kräftig Nachschub, denn ich wusste nach kurzem Addieren der uns zu erwartenden Höhenmeter, dass uns die Radtour mehr als 100 Kilometer und deutlich über 3.000 Höhenmeter abverlangen würde. Also, machten wir uns nach dem Frühstück mit unseren kompakten Sport-Rucksäcken, ausreichend Verpflegung und Wechselkleidung auf den Weg Richtung Ferleiten, dem „offiziellen“ Start der Auffahrt zum Fuscher Törl.
Video: Markus Steinacher auf der Edelweißstraße kurz vor dem Gipfel der Edelweißspitze auf 2.572 Meter Seehöhe
Von Zell am See bis zum Schranken in Ferleiten mussten wir etwa 17 Kilometer mit rund 400 Höhenmeter zurücklegen. Dieses lockere Einradeln dauerte in etwa 56 Minuten. Ab dann ging unsere Tour erst richtig los. Unser erstes erklärtes Zwischenziel war das Fuscher Törl, welches wir nach weiteren 95 Minuten erreicht hatten. Hier traten wir auf dem Pfad der 4. Etappe der berühmten Österreich-Rundfahrt (die 4. Etappe der Österreich-Rundfahrt ist 103,5 Kilometer lang und startet in Radstadt, welch treffender Name). Die letzten 27,7 Kilometer dieser 4. Etappe quälen sich die Radprofis über mehr als 1.670 Höhenmeter auf der Großglockner Hochalpenstraße hinauf zum Etappen-Ziel, dem Fuscher Törl, welches auf 2.428 Meter Seehöhe liegt. Bei dieser ersten Auffahrt brannte die Sonne auf uns herab. Der Schweiß tropfte im Sekundentakt aus meinem Helm auf Brille und Fahrrad. Meine beiden mit Iso gefüllten Trinkflaschen leerten sich schneller als mir recht war. Mein altes Rennrad – ein Unikat aus dem Hause Fahrradshop Pedalus, mit Alu-Rahmen, Ultegra-Schaltung und harter Übersetzung – brachte meine Oberschenkel gefühlt zum Glühen. Doch ich bin es gewohnt, hart zu treten und so hielt sich mein Puls in der rund 12%igen Steigung konstant bei etwa 140 – 150 bpm bis zum Fuscher Törl.
Und das war noch lange nicht alles, was die Großglockner Hochalpenstraße zu bieten hat. Der höchste Punkt, welcher mit dem Rad zu bezwingen ist, ist die auf 2.572 Meter Seehöhe gelegene Edelweißspitze, die sich bei Schönwetter in guter Sichtweite zum Fuscher Törl befindet. Und genau das war unser zweites Zwischenziel, welches wir nach insgesamt 165 Minuten von Zell am See aus erreicht hatten (14 Minuten von Fuscher Törl bis Edelweißspitze).
Zur Edelweißspitze hinauf radelten wir über die 1,6 Kilometer lange gepflasterte Edelweißstraße, die mit ihren 6 Kehren eine maximale Steigung von 14 Prozent aufweist. Auf diesen 1,6 Kilometern haben wir nochmals zusätzlich 177 Höhenmeter überwunden. Von hier oben genossen wir einen traumhaften Ausblick auf insgesamt 37 „Dreitausender“.
Nach einer Mittagspause in der Edelweißhütte (Frittatensuppe und Kaiserschmarren) wechselten wir unsere Kleidung auf entsprechend wärmere langärmelige Funktionswäsche, die uns beim Bergabfahren vor Kälte schützen sollte. Emil und ich haben uns während der gesamten Tour mit kniehohen Sportsocken ausgestattet. Ich setzte auf die Neuro Socks, Emil auf Omotion Kompressionssocken. Letzten Endes war diese Wahl der Ausstattung die richtige Entscheidung.
Nun fuhren wir zunächst die holprige Edelweißstraße bergab. Für Emil war dies eine Premiere, die ihm etwas „Unwohlsein“ abverlangte. Und in der Tat wird einem bei dieser steilen Abfahrt beim ersten Mal wirklich mulmig. Nach dieser kurzen abenteuerlichen Abfahrt fuhren wir kurz nochmal hoch zum Fuscher Törl und daraufhin gleich weiter Richtung Hochtor, welches auch wieder einige Höhenmeter bergauf bedeutete. Das Hochtor ist ein sehr „rustikaler“ Tunnel, in welchem es feucht von der Decke tropft. Allein das Ambiente in diesem Tunnel ist schon Abenteuer genug. Hier, auf 2.504 Meter Seehöhe, konnten wir uns nach einer kurzen Pause auf eine lange und steile Abfahrt Richtung Heiligenblut freuen. Die Abfahrten haben wir stets sehr vorsichtig in Angriff genommen. Emil war dies nicht ganz geheuer und auch ich lies mich nicht zum Geschwindigkeitsrausch verleiten. So lag die maximale Geschwindigkeit bei nur 64,9 km/h, was deutlich unter meinem persönlichen Rekord von 95 km/h auf der Großglockner Hochalpenstraße gelegen ist. So fuhren wir bergab bis zum Kreisverkehr, bei welchem man entweder zur Kaiser Franz Josefs-Höhe hinauf, oder nach Heiligenblut hinunter fahren konnte. Wir wählten hier gleich den Weg hinauf zur Kaiser Franz Josefs-Höhe, eine 47 Minuten lange Bergfahrt mit etwa 500 Höhenmetern. Die letzten 10 Minuten hier herauf waren so steil, dass es mich immer wieder einmal kurz aus dem Sattel zwang. So drückte ich immer wieder mal im Stand die Pedale meines Rennrades hinunter um im Schritttempo voranzukommen. Belohnt wurden wir mit einer gewaltig trostlosen Aussicht auf die „Überbleibsel“ der Pasterze, dem ehemalig größten Gletscher von Österreich. Ein erfreuliches Trostpflaster waren hier dafür die Murmeltiere, welche wir von der großen Aussichtsterrasse beobachten konnten.
Die Pause bei der Kaiser Franz Josefs-Höhe nutzten wir auch wieder um uns zu verpflegen. Gerade bei solchen gewaltigen Radtouren spielt die permanente Nährstoffversorgung eine zentrale Rolle. Wie auch Ernährungswissenschafterin, Sandra Leisner-Lichtenecker, immer wieder richtig betont, muss ab einer gewissen Belastungsintensität und Dauer einfach auch während der sportlichen Aktivität immer wieder für Nachschub gesorgt sein. In dieser Phase ist der Körper in der Lage, Nahrung direkt in Energie für körperliche Aktivität umzusetzen. Fazit: essen, essen und wieder essen.
Die Hälfte ist geschafft
So.. nun hatten wir etwa 56 Kilometer, und somit die Hälfte unserer Radtour, am Fuße des Großglockner hinter uns. Nun haben wir uns das selbst eingebrockt und es gab nur eine Lösung: mit dem Rad zurück nach Zell am See, auf direktem Weg, so wie wir gekommen sind.
Wieder unten am Kreisverkehr angekommen, wussten wir genau was uns erwartet: weitere 630 Höhenmeter hinauf zum Hochtor. Das waren die bislang härtesten Höhenmeter meiner Radsport-Karriere, speziell die letzten 300 Höhenmeter hinauf quälte ich mich extrem hinauf und es hatte im Kopf den Anschein, als würde ich mich nicht vom Fleck bewegen, das nahe Ziel doch noch so unendlich weit entfernt. Aber mit der nötigen Routine, einer Portion Gelassenheit und Geduld ging auch diese Auffahrt bis zum Hochtor gut aus. Und nun war das Ziel in greifbare Nähe gerückt. Nun, nach über 3.200 überwundenen Höhenmetern, mussten wir nur noch etwa 160 Höhenmeter bergauf überwinden, um bereits zum dritten Mal an diesem Tag beim Fuscher Törl anzukommen. Und von nun an ging es fast nur noch bergab bis zurück nach Zell am See, unserem Ziel, welches wir nach 6 Stunden und 36 Minuten erreichten.
Dieser gelungene Sportwochen-Auftakt verlangte einen etwas ruhigeren Folgetag mit Schwimmen und lockerem Laufen. Einen weiteren Tag darauf machten wir einen ganz besonderen Trailrun bei den Kapruner Hochgebirgsstauseen Wasserfallboden und Moserboden.
Radtour auf das Kitzbüheler Horn am 16.7.2020
Am Donnerstag, den 16. Juli 2020, waren unsere Beine aber dann wieder so fit, dass wir unsere zweite große Rennradtour in Angriff nehmen konnten. Diesmal fuhren wir von Zell am See über Mittersill / Pass Thurn nach Kitzbühel, wo das Kitzbüheler Horn mit der „sogenannt“ härtesten Radstrecke von Österreich auf uns wartete. Die Kitzbüheler Horn-Straße hinauf zum Etappen-Ziel der Österreich Rundfahrt (6. Etappe) verlangte von uns auf einer Distanz von nur etwas mehr als 7 Kilometer 876 Höhenmeter zu überwinden. Hier beträgt die maximale Steigung kurz vor dem Ziel 22,3 %, was für uns „Flachländler“ aus dem Osten von Österreich eine gewaltige Herausforderung darstellt. Letzten Endes war es aber dann doch nicht ganz so schlimm wie angenommen und wir konnten erfolgreich den Heimweg nach Zell am See über St. Johann in Tirol, Leogang und Saalfelden antreten. Insgesamt waren wir 133,67 Kilometer in 5 Stunden und 34 Minuten unterwegs, mit weiteren 2.000 Höhenmetern auf unserem Konto.
Im Grunde genommen war dies eine erfolgreiche und atemberaubende Sportwoche in Österreich, mit einem kleinen Wehrmutstropfen: das extrem radfahrer-unfreundliche Verhalten der einheimischen Autofahrer in Saalfelden. Ich wurde noch nie in ganz Österreich dermaßen aggressiv und unfreundlich von vorbei fahrenden Autofahrern angehupt, beschimpft und fast von der Straße gedrängt, wie in Saalfelden. Auf nur wenigen Kilometern hatten wir es mit mehreren, besonders zwei aggressiven Autofahrern, zu tun. Ein Autofahrer fühlte sich verpflichtet, sogar das Fenster seiner Beifahrertüre hinunter zu kurbeln, um uns verbal zu attackieren, völlig grundlos und ohne rechtlicher Grundlage. In diesem Punkt gehört meiner Ansicht nach in unserer Gesellschaft noch viel verbessert. Es ist einfach unverantwortlich und gefährlich, einen Radfahrer am Straßenrand abzulenken, zu erschrecken und in eine vielleicht so gar nicht kontrollierbare Situation zu bringen.