Die letzten 10 Jahre haben im Fußball eine kleine digitale Revolution mit sich gebracht. Während 2014 bei der WM in Brasilien gerade einmal die Torlinientechnik eingeführt wurde, hat die Technik bei der EM 2024 in Deutschland bereits große Sprünge gemacht. Die Torlinientechnik zählt längst zum Standard, mittlerweile wird mit KI und Sensoren gearbeitet, um Abseitsentscheidungen treffen zu können.
Der halbautomatische VAR hat am Ende des Turniers zwar überzeugt, aber dennoch für einige strittige Szenen gesorgt. Denn zwar wurden die Abseits-Checks durch den VAR kürzer, in einigen Fällen hätten sich die Fans aber auch bestimmt gewünscht, dass nach wie vor ein Mensch die Entscheidung trifft.
Warum braucht es einen automatischen VAR?
Der VAR funktioniert eigentlich relativ einfach. Der Schiedsrichter wird durch ein zusätzliches Team an Unparteiischen unterstützt, das bei fraglichen Entscheidungen einschreitet. So kann dann geprüft werden, ob ein Tor tatsächlich zählt oder statt einer gelben Karte doch ein Platzverweis gerechtfertigt wäre. Die Daten werden dabei online an den VAR übermittelt und der Schiedsrichter auf dem Platz ist per Headset mit seinen Kollegen verbunden.
Die zusätzlichen Referees haben sich grundsätzlich bereits im Fußball etabliert, doch immer wieder gab es einen großen Knackpunkt. Enge Abseitsentscheidungen mussten oft mehrere Minuten geprüft werden, da selbst die verschiedensten TV-Bilder nicht immer eine eindeutige Auskunft geben konnten. Der VAR musste dann manuell eine Abseitslinie ziehen und ganz genau prüfen, ob sich der gegnerische Spieler nun vor oder hinter dem letzten Verteidiger befunden hat.
Abhängig vom Winkel der TV-Bilder kam es hier in der Vergangenheit bereits zu einigen strittigen Entscheidungen. Um bei der Europameisterschaft mehr Fairness garantieren zu können, wurde also der halbautomatische VAR eingeführt. Dieser sollte zusätzlich dazu führen, dass Entscheidungen deutlich schneller getroffen werden können und der Spielfluss nicht für mehrere Minuten unterbrochen werden muss.
So funktioniert der halbautomatische VAR
Der halbautomatische VAR ist rein technisch betrachtet ein echtes Meisterwerk und bringt den Fußball noch einmal mehr in ein technisch neues Zeitalter. Anhand von Sensoren und Kameras kann der exakte Moment der Ballabgabe ermittelt werden und die Abseitslinie wird dann automatisch von einer künstlichen Intelligenz gezeichnet. So lassen sich selbst Millimeterentscheidungen in kürzester Zeit prüfen.
Wann der Ball abgespielt wurde, lässt sich anhand des Sensors im Spielgerät ermitteln. Durch die Vibrationen beim Pass kann auf die Millisekunde genau geprüft werden, wann der Pass eingeleitet wurde. Gleichzeitig scannen zahlreiche Kameras im Stadion bis zu 50-mal pro Sekunde die Spieler. Dabei wurden die Kameras ebenfalls mit KI ausgestattet und so trainiert, insgesamt 29 Körperstellen zu scannen.
Mit der exakten Bewegung des Spielers zu der Zeit, als der Ball gespielt wurde, kann dann eine Grafik erstellt werden. Diese zeigt deutlich an, ob es sich um Abseits handelt oder nicht. Strittige Szenen sollten so in der Theorie eigentlich der Vergangenheit angehören. Doch bei der EM 2024 gab es dennoch einige Aufreger, die wieder zur Abschaffung des halbautomatischen VARs aufrufen.
Die 3D-Animation der strittigen Szene wird dann für alle Fans vor dem TV-Bildschirm und auch im Stadion auf den Leinwänden angezeigt. So ist deutlich ersichtlich, warum das Schiedsrichterteam nun ein Tor aberkennen muss oder den Treffer doch zählen lässt.
Warum es große Kritik gibt
Während beispielsweise im American Football schon länger modernste Technik für mehr Fairness zum Einsatz kommt, muss man sich im Fußball erst einmal an die Neuerungen gewöhnen. In den letzten 10 Jahren gab es zahlreiche Änderungen, welche die Schiedsrichterentscheidungen deutlich exakter machen. Was auf den ersten Blick sehr positiv klingt, hat bei Fans, Spielern und auch Trainern aber immer wieder für Verstimmungen gesorgt.
So wurde beispielsweise die Frage in den Raum geworfen, ob man millimetergenaue Abseitsentscheidungen diskutieren muss oder in diesem Fall doch lieber für den Stürmer entscheiden sollte. Die „Vermessung” im Fußball würde dem Spiel zudem die Emotion rauben, behaupten viele Fans. Über ein Tor kann man heutzutage nämlich nicht mehr ganz spontan jubeln.
In vielen Fällen müssen sich Fans nämlich gedulden, bis der VAR den Treffer bestätigt hat. Besonders niederschmetternd ist ein aberkanntes Tor immer dann, wenn es vielleicht sogar um einen Last-Minute-Treffer geht. Natürlich kann man nun diskutieren, ob die Nase oder der große Zeh schon ausreichen, um auf Abseits zu entscheiden. Das Regelwerk im Fußball ist aber grundsätzlich eindeutig und die halbautomatische Lösung macht in diesem Fall keine Ausnahmen.
Des einen Freud ist dabei des anderen Leid. Eine strittige Szene kann mittlerweile nämlich immer zu 100 % korrekt eingeschätzt werden. Dadurch ergibt sich natürlich mehr Fairness im Sport, was sich für eine Mannschaft in jedem Fall immer positiv auswirkt.
Linienrichter halten sich dezent zurück
Mit der halbautomatischen Abseitstechnologie steigt vor allem der Druck auf die Linienrichter. Diese haben sich bei der EM 2024 nämlich vornehm zurückgehalten, um selbst keine Fehlentscheidungen zu provozieren. Hebt der Linienrichter energisch die Fahne, pfeift der Schiedsrichter meist ab. Hat es sich in einer kritischen Szene dann aber gar nicht um Abseits gehandelt, kann der VAR nicht mehr eingreifen.
Daher geht man in der Praxis dazu über, strittige Szenen einfach laufen zu lassen und im Nachhinein die Technik entscheiden zu lassen. Auf Dauer könnte das den Linienrichter sogar vollkommen überflüssig machen, da seine Hauptaufgabe ohnehin von der Technik übernommen wird.
Wie könnte sich der VAR weiterentwickeln?
Da sich in den letzten 10 Jahren bereits viel getan hat, dürfte der VAR den Fußball auch in den kommenden 10 Jahren weiter digitalisieren. So könnten die Abseitskameras im Stadion auch dazu genutzt werden, um ein potenzielles Handspiel aufzudecken. Anhand der 3D-Animation und des Sensors im Ball ist es theoretisch jetzt schon möglich, ein genaues Bild der kritischen Szene zu zeichnen.
Zudem könnte die Torlinientechnik auf das gesamte Spielfeld ausgeweitet werden. Binnen kürzester Zeit ließe sich so entscheiden, ob es Abstoß geben muss oder das Tor doch zählt. Den Schiedsrichter an sich wird die VAR-Technik in nächster Zeit aber sicher nicht ersetzen können.
Fraglich ist aber, inwieweit der Spielraum des VAR erweitert wird. Aktuell darf das zusätzliche Schiedsrichterteam nur eingreifen, wenn es sich um eine strittige Szene handelt. In den kommenden 10 Jahren ist aber auch eine Entwicklung denkbar, dass jeder Pfiff vom Schiedsrichter noch einmal durch den VAR geprüft wird.